Ausflugtipps
Das Schöneberger Südgelände
Es ist nicht einfach, hier keine Klischees zu bemühen, beim Spaziergang durch eine der schönsten Industriebrachen Berlins. Die Natur hat sich ihr angestammtes Gebiet zurückerobert - könnte man meinen. Wildnis, als ein hochstilisierter Traum vom Paradies des typischen Großstädters?
Rund 90 Jahre müssen wir in die Vergangenheit schauen, um zu den Anfängen des Geländes zu gelangen. Der stete Anstieg des Eisenbahnverkehrs in die Metropole machte etwa 1920 den Bau eines großen Rangierbahnhofes notwendig. Die Gigantomanie des Dritten Reiches wollte hier einen überdimensionierten Südbahnhof schaffen. Das Areal war eine „Wüste“ von Stahl und Schotter keine besonders lebensfreundliche Umwelt.
Das Ende des Krieges bewirkte auch hier erhebliche Veränderungen. Besitzer ist nun die Reichsbahndirektion. Diese sitzt aber in Ost-Berlin. Die Berlin-Blockade setzte dem Bahnhof 1948 endgültig ein Ende. Aus diesem Dornröschenschlaf erwacht er in den 70er Jahren, als der Senat dort den für West-Berlin notwendigen Güterbahnhof schaffen will.
Im damals typischen Hau-Ruck-Verfahren wird versucht, dieses Konzept in die Tat umzusetzen. Vollendete Tatsachen sollen geschaffen werden. Anfang der 80er Jahre regt sich der Widerstand in Form einer Bürgerinitiative. Das Südgelände wird als eines der wertvollsten Naturgelände Berlins erkannt. In einem Klimagutachten wird ihm eine große Bedeutung für das innerstädtische Klima zugemessen. Es ist eines der wichtigsten Kaltluftentstehungsgebiete der Stadt, quasi ein „Ventilator“, der für den notwendigen Luftaustausch sorgt. Immer mehr Menschen und Institutionen erkennen die Wichtigkeit eines Behutsamen Umgangs mit diesem Areal am S-Bahnhof Priesterweg.
Die komplizierten Verhandlungen zwischen West und Ost vereinfachen das Geschehen nicht unbedingt. Langsam entwickelt sich die Vision eines Natur-Parks. Gleichzeitig, Ende der 80er Jahre, lassen Pläne zur Schließung der Auto-bahnlücke am Sachsendamm eine neue Bedrohung entstehen. Die Forderung nach einer ökologischen Alternative wird laut. Im Herbst 1988 wird das Landschaftsprogramm rechtskräftig. Zukünftig wird es das Ziel des Senates sein, das Südgelände als Naturpark und in Teilbereichen sogar als Naturschutzgebiet zu erhalten (1999 rechtskräftig). Die Koalitionsvereinbarungen des Rot-Grünen Senats enthalten den Gedanken einer großen Südtangente, die vom Geländer der BUGA 1995 im Tiergarten zum Britzer Garten führen soll. Der Mauerfall 1989 beendet ein für alle Mal ein westberlin-zentriertes Denken in der Stadtplanung. Anfang der 90er Jahre setzt sich auch international, getragen durch viele Wissenschaftler, der Gedanke durch, derartige Stadtbrachen zu erhalten und sie in ein städtisches Grünflächensystem zu integrieren. Ein neues Gutachten bestätigt den ökologischen Wert des Refugiums erneut. Mitte der 90er Jahre kommt es zu Vereinbarungen zwischen Senat und Bahnverwaltung.
Die Grün Berlin GmbH beginnt mit der Planung des Naturpark-Konzeptes. Im Jahr 2000 ist das Südgelände eines der Projekte der EXPO-2000.
Seltene Tier- und Pflanzenarten aller Herren Länder haben sich hier, zwischen den S-Bahnhöfen Papestrasse und Priesterweg, angesiedelt. Diese „Wildnis“ ist mehr als ein herkömmlicher Park. Im Gegensatz zu diesem hat hier die Natur noch „freie“ Entfaltungsmöglichkeiten. Keine Monokultur an Pflanzen- und Tierarten, sondern eine lebendige Industriebrache, wie sie von vielen S-Bahn-Fahrenden durch die Fenster beobachtet werden konnte. Auf den Sand- und Schuttböden siedelten sich typische Pflanzen- und Tierarten an, die aufzuzählen, den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Die damaligen Züge nutzend, fanden sie hier ideale (weil konkurrenzarme) Lebensbedingungen, oder passten sich an diese an. Andere Wege der Besiedlung waren der Eintrag durch die Luft (als Flugsamen oder als Beerenfrüchte von Vögeln), als Haft- oder Klettfrüchte (über das Fell umherstreunender Tiere) und schließlich durch die angrenzenden Gartenkolonien.
So finden sich hier seltene Trockenrasenflächen, Erstbesiedlungsgehölze und ein sich daraus entwickelnder „Urwald“.
Schönfärberisch wird inzwischen von einem Gleichgewicht der Natur gesprochen, die sich ihr Refugium quasi zurückerobert hat. Ganz so ist dem natürlich nicht. Ein Teil wird vom Menschen geformt, während anderswo die Natur frei zu ihrem Recht kommt. Ohne diesen lenkenden Eingriff würden über kurz oder lang bestimmte Gehölze andere Pflanzen verdrängen.
Kein barocker Landschaftsgarten ist hier vom Menschen geschaffen worden, auch wenn das gelbe „Eingangsportal“ als ein augenzwinkernder Fingerzeig in diese Richtung zu verstehen ist.
Das kleine Paradies ist aber mehr, als nur eine Ansammlung seltener oder exotischer Pflanzen- und Tierarten. Es ist grüne Lunge, Staubfilter, Kaltlufterzeuger - ökologisch also höchst bedeutsam für die umliegende Stadt.
Ein 600 m langer eiserner Weg führt etwa einen halben Meter hoch über dem Boden durch den unter Naturschutz stehenden Bereich. Kunst und Technik werden hier zum Mittel, um die Natur vor dem Menschen zu schützen. Das Verlassen der Wege wird so „unmöglich“ und eine Verdichtung des Bodens, sowie die damit einhergehende Veränderung des Ökosystems finden nicht statt.
Dieser Weg ist, wie viele andere technische Objekte, ein Versuch, Kunst, Technik und Natur in Einklang zu bringen.
Der weithin sichtbare, um 1927 erbaute 50 Meter hohe Wasserturm, eine alte Dampflok, eine der ältesten Lokdrehscheiben Deutschlands, Wasserpumpen, Lichtmasten, Gleisanlagen, sowie ein Lokschuppen „tummeln“ sich in dieser Industriebrache, die sich zu einem begehrten Naherholungsziel entwickelt hat. Zwei behindertengerechte Rundwege führen hindurch.
Ralf Salecker(Text und Foto)